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Kein Kündigungsschutz bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit

Das Bundesgericht schliesst sich in einem wegweisenden Entscheid (1C_595/2023 vom 26. März 2024) der Rechtsprechung an, die in der Deutschschweiz bereits der herrschenden Meinung entspricht. Wird ein Arbeitnehmer/ eine Arbeitnehmerin (nachfolgend: Arbeitnehmer) aufgrund eines Arbeitsplatzkonflikts krank, entfällt der Kündigungsschutz in gewissen Fällen.

Wird ein Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden krank, so ist er während einer gewissen Zeit vor einer Kündigung geschützt. Im ersten Dienstjahr gilt der Schutz während 30 Tagen, im zweiten bis und mit fünften Dienstjahr während 90 Tagen und ab dem sechsten Dienstjahr während 180 Tagen. Der Kündigungsschutz gelangt jedoch nur bei ordentlichen Kündigungen, nicht bei fristlosen Kündigungen zur Anwendung.

Mit dem kürzlich publizierten Bundesgerichtsentscheid vom 26. März 2024 (1C_595/2023) hält das Bundesgericht fest, dass eine ordentliche Kündigung möglich sein soll, wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf den Arbeitsplatz beschränkt. Wird eine Person aufgrund eines Konflikts am Arbeitsplatz krank (arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit), so greift die oben genannte Sperrfrist dann nicht, wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung als derart unbedeutend erweist, dass sie der Aufnahme einer neuen Arbeit nicht entgegensteht.

Der vorliegende Fall betraf einen Berufsoffizier der aufgrund eines andauernden Streits mit seiner Arbeitgeberin – der Schweizer Armee – depressiv wurde. Durch die Drängung der Arbeitgeberin, ein Nebenamt als Vorstandsmitglied aufzugeben, verunglimpfte der Offizier seine Arbeitgeberin, was zu einer Verschärfung der Arbeitssituation führte. Schliesslich liess sich der Berufsoffizier krankschreiben. Die Schweizer Armee reagierte mit einer Kündigungsverfügung, noch bevor die gesetzliche Sperrfrist abgelaufen war und stellte den Arbeitnehmer frei.

Das Bundesgericht erwog im vorliegenden Entscheid, dass die gesetzliche Sperrfrist nicht absolut zu gelten hat und im vorliegenden Fall eine Kündigung trotz der Krankheit möglich war.

Das Bundesgericht fällt somit in einer seit Jahren umstrittenen Rechtsfrage einen wegweisenden Entscheid, dass der Kündigungsschutz bei sogenannter arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit teilweise nicht zur Anwendung gelangt. Dabei gilt als «arbeitsplatzbezogen» jene Krankheit bzw. Absenz, die direkt mit dem Arbeitsplatz zusammenhängt. Als typisches Beispiel werden dabei Konflikte wie Mobbing, Burn-out oder Stress genannt, sofern sich dies nur auf den aktuellen Arbeitsplatz auswirken.

Der Entscheid hebelt indes den Kündigungsschutz bezüglich krankheitsbedingter Sperrfrist nicht aus; wer in dem Masse krank wird, dass auch in einem anderen Arbeitsverhältnis nicht arbeiten kann, der wird weiterhin durch die in Art. 336c OR geregelten Sperrfristen vor einer Kündigung geschützt.

Massgebend für die Frage der Arbeitsplatzbezogenheit ist in der Praxis das ausgestellte Arztzeugnis, welches vom Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit verlangt werden kann. Hält dieses fest, dass jemand anderswo weiterhin arbeiten könnte, so besteht mit dem vorliegenden Entscheid nun die Möglichkeit für ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen zu kündigen. Ist dies nicht der Fall, dann gilt weiterhin der Kündigungsschutz. Die Arbeitgeberin hat hierbei jedoch die Möglichkeit, das Arztzeugnis – welches oft vom behandelnden Hausarzt ausgestellt wird – durch ein Gutachten eines unabhängigen Vertrauensarztes kontrollieren zu lassen. Ergibt das Gutachten, dass jemand nur am angestammten Arbeitsplatz nicht arbeiten kann, so muss ein Gericht über die beiden unterschiedlichen Arztzeugnisse eine Entscheidung treffen.

Dass dadurch – wie von gewissen Fachkreisen behauptet – der Kündigungsschutz aufgeweicht würde, ist unseres Erachtens nicht der Fall. Vielmehr bestätigt der Entscheid die jahrelange Praxis der Gerichte aus der Deutschschweiz. Mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es von nun an möglich, sich als Arbeitgeberin gegen den Missbrauch von übereilten Arztzeugnissen zu wehren. Die Arbeitnehmer können weiterhin bei arbeitsplatzübergreifenden Arbeitsunfähigkeiten einen starken Kündigungsschutz profitieren. Schliesslich ist auch weiterhin möglich missbräuchliche Kündigungen als solche anzufechten.

Haben Sie Fragen zum Kündigungsschutz oder zum Arbeitsrecht im Allgemeinen? Unsere Anwälte und Anwältinnen sowie Notare unterstützen Sie gerne.

Autoren:

Elmar Wohlhauser, Rechtsanwalt

Sandro Stucki, Rechtsanwalt

Florence Perroud, avocate

Entscheid des Bundesgerichts 1C_595/2023 vom 26. März 2024